Konversionen
2017 - 2022
Chemnitz

Riemannwerke Wellenwerk II

30.1211

Mut, das war auf den ersten Blick klar, für dieses Projekt würde man viel Mut benötigen. Nicht nur die schiere Größe der leerstehenden Fabrik, sondern vor allem der desolate Zustand machten beklommen. Die Dachkonstruktion war eingestürzt, das oberste Geschoss nicht mehr begehbar. Aus den Fassaden wuchsen Birken. Graffitisprayer hatten das Objekt für sich entdeckt. Dazu Beschädigungen durch Vandalismus. An einem Seitenflügel hatte der Abbruchbagger bereits gearbeitet; aus diesem Abschnitt würde noch ein historisches Treppenhaus zu bergen sein, aber das wusste zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Das markante, in Ecklage an der Hofer Straße und Fürstenstraße gelegene Objekt war stadtbildprägend, selbst noch in seinem ruinösen Zustand. Die Lage auf der Humboldthöhe unterstützte noch zusätzlich diese Wirkung und der 1912 errichtete Wasserturm bildete eine prägnante Landmarke. Und dennoch war das Objekt dem Abbruch geweiht, die dafür notwendige Genehmigung wurde durch die Denkmalschutzbehörde schweren Herzens erteilt.

Was soll man mit einer riesengroßen Industrieruine anfangen? Was mit einem Wasserturm? Für produzierende Unternehmen waren die Gebäude, deren aufwendig gestaltete Fassaden mit mächtigen Risaliten und Ziertürmchen nicht wirtschaftlich. Niemand wäre ernsthaft auf die Idee gekommen, hier wieder produzieren zu wollen. Heutige Produktionsgebäude sind streng rational gebaut, aus Gründen der Effizienz an Schlichtheit nicht mehr zu unterbieten und werden in dafür ausgewiesenen Gewerbegebieten neu errichtet, nicht mitten in der Stadt und in einem denkmalgeschützten Werk.

Es gab eigentlich keine rettende Perspektive mehr. Das Gelände wurde durch einen Bauunternehmer erworben, der die Industriegebäude abreißen und auf der entstehenden Brache eine Bebauung mit Einfamilienhäusern plante. Eine größere Diskrepanz zwischen dem höhendominanten Riemannwerk und der geplanten Neubebauung war fast nicht denkbar. Dem Denkmalschutz blutete das Herz.

Doch! Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch (Friedrich Hölderlin): Die Hansa Real Estate AG, die sich mit den Wellenwerken I bis IV in Leipzig einen hervorragenden Ruf in der Konversion, also Umwandlung, von leerstehenden Industriegebäuden zu hochwertigen Loftwohnungen erworben hatte, zeigte sich an dem Objekt interessiert. Seit einigen Jahren auf dem Chemnitzer Immobilienmarkt aktiv, war für die Hansa die Zeit reif geworden, um die Produktserie der Wellenwerke auch in Chemnitz zu etablieren. Und so wurden neben dem Poelzigbau auch die Riemannwerke in Chemnitz erworben. Mutige Investoren benötigen mutige Planer. Unsere Zeit war gekommen. Ein erster Ansatz wurde im Entwurf durch die Untergliederung des Objektes in drei Brandabschnitte gesetzt. Um die Objektgröße im Rohbau beherrschbar zu machen, wurde später die Unterteilung in insgesamt fünf Sektionen erweitert. In diesen Brandabschnitten wurden zuerst die zentralen Erschließungen durch Treppenhäuser bestimmt. Im ersten Abschnitt war ein neues Treppenhaus zu schaffen, hierfür bot sich der ehemalige Hauptzugang mit den dominierenden Zugangstüren auf der Straßenund Hofseite an. In diesen Durchgang wurde ein vollständig neues Treppenhaus implementiert, bestehend aus geradläufiger Treppe und beidseitigem Podestumgang.

Um den industriellen Charakter des Gebäudes zu unterstützen, wurde die Ausführung in Sichtbeton mit schlichten Metallgeländern vorgesehen. Im zweiten Abschnitt wurde das originale Massivtreppenhaus in einem guten Erhaltungszustand vorgefunden, so dass dieses Treppenhaus saniert und erhalten werden konnte. Im dritten Abschnitt war ein, ebenfalls noch erhaltensfähiges, Treppenhaus zwar vorhanden, befand sich aber direkt im Bereich, in dem durch den Voreigentümer bereits mit dem Abbruch begonnen worden war. Deshalb wurde die Verlegung dieses Treppenhauses in den Eckbereich des Seitenflügels zur Erschließung von uns geplant. Eine Vorgabe, die auf dem Plan einfacher zu realisieren ist, als in der Realität, mussten doch die Massivtreppenstufen einzeln geborgen, aufgearbeitet und an der neuen Stelle wieder verbaut werden.

Ein hoher Aufwand, aber es gelang. Und so konnte diese über hundert Jahre alte Treppe zwar an anderer Stelle, aber im gleichen Gebäude erhalten bleiben. Nicht erhalten bleiben konnten die Geschossdecken. Es wurde zu einem recht frühen Zeitpunkt und aus den Erfahrungen, die der Bauträger bei der Sanierung der Leipziger Wellenwerke gewonnen hatte, entschieden, dass die Geschossdecken, soweit sie noch vorhanden waren, gegen neue Stahlbetondecken auszutauschen sind. Dieser Deckenaustausch stellte einen Kraft- und Balanceakt gleichermaßen dar: Zum einen war die enorm große Menge an neuen Geschossdecken personell und logistisch zu bewältigen, zum anderen mussten die Gebäudeabschnitte, in denen die aussteifenden Geschossdecken entfernt und neu eingebaut werden sollten, während der Bauzeit aufwendig abgestützt und gesichert werden, da das erhaltene Gebäude nur noch ein Teil des ehemaligen Werkes war. Im Innenhof gab es mehrere Abbruchkanten, an denen frühere Seitenflügel angebaut waren. Für den abrupten Schluss des Seitenflügels haben wir im Entwurf einen Abschluss mit einer optisch leicht zurückgesetzten neugebauten Sektion, die mit einer Sichtbetonscheibe abgeschlossen wird, vorgesehen. Mit dieser Sichtbetonfläche wird die Abbruchkante auch für spätere Generationen, die den alten Gebäudeverlauf nicht mehr kennengelernt haben, markiert. Industriebauten verfügen üblicherweise nicht über Balkone, moderne Wohnungen sind ohne Balkone kaum denkbar. Hierzu musste ein Kompromiss gefunden werden, der sowohl dem Erhalt der denkmalgeschützten Fassade als auch den Wohnwert der neu entstehenden Wohnungen Rechnung trägt. Für die Anordnung von Balkonen der zur Hofseite ausgerichteten Wohnungen konnte schnell Einigkeit erzielt werden.

Im Entwurf war auch eine Antwort auf die Frage, wie mit der Fassade auf der Straßenseite im Eckbereich des Gebäudes umzugehen ist, zu beantworten. Dieser Bereich war, vermutlich infolge kriegsbedingter Einwirkungen, mit einer, im krassen Gegensatz zur historischen Klinkerfassade, sehr schlichten Außenputz versehen. Im Gespräch mit dem Referenten des Landesamtes für Denkmalpflege, Dr. Pinkwart und dem Leiter der Denkmalschutzbehörde in Chemnitz, Thomas Morgenstern, wurde deutlich, dass aus Sicht der Denkmalpflege auch eine moderne Formensprache für möglich angesehen wurde. Aber wir haben uns hier für die Wiederherstellung der Fassade entschieden. Es war eine bewusste Entscheidung für diese Rekonstruktion, weil damit der gestalterische Zusammenhang des Gesamtgebäudes wieder hergestellt wurde, zumal an dieser prominenten Gebäudeecke.

Diese Rekonstruktion gab uns jedoch gleichzeitig die Freiheit, in diesen Eckbereich Loggien sowie Kragbalkone, die detailliert in die Fassade eingeplant wurden, für die Wohnungen, die ausschließlich zur Straßenseite gelegen sind, neu zu schaffen. Penthouses sind grundsätzlich sehr beliebt. Aufgrund der Lage des Gebäudes auf der Humboldthöhe verschaffen die hier entstandenen obersten Wohnungen einen weiten Blick über die Stadt Chemnitz. Als Staffelgeschoss wurden die Dachaufbauten von der Fassade zurückgesetzt angeordnet, so ergaben sich für die im obersten Geschoss gelegenen Wohnungen private Dachterrassenbereiche mit hohem Aufenthalts- und Wohnwert.

Um durch dieses Staffelgeschoss keine nachteilige Wirkung auf die Gestaltung des Gebäudes, die durch die mächtigen klinkerverkleideten Fassadenbereiche sowie durch die wuchtigen Risalite geprägt ist, wurden die Penthousefassaden zurückhaltend anthrazitfarben gestaltet. Im Objekt wurden insgesamt 44 neue Loftwohnungen, von denen viele als Maisonettewohnung über zwei Ebenen geführt wurden, geschaffen.

Auch der Freianlagenbereich wurde aufwendig gestaltet. Durch einen Wasserlauf, gespeist durch eine Regenwasserzisterne, wird eine Assoziation an die Wellenwerke, die in Leipzig stets an Wasserläufen lagen, geschaffen. Um den der Erholung und Freizeit vorbehaltenen Hofbereich vollständig vom Fahrzeugverkehr freizuhalten, wurde eine Tiefgarage neu geschaffen. Und was wurde aus dem Wasserturm? Da der Baugrund aus Rotliegend, einem schluffigen Schieferton, nur gering tragfähig ist, musste zur Sicherung des Wasserturms eine aufwendige Nachgründung erfolgen. In den Wohngeschossen wurde der Turm den angrenzenden Wohnungen im Entwurf zugeschlagen. So ergaben sich schöne Turmzimmer. In der obersten Wohnebene wird zudem die Höhe genutzt, hier wurde dem Turmzimmer noch eine Galerieebene spendiert. Der über den Wohnebenen liegende Turmbereich wurde denkmalgerecht saniert. Der Turm ist begehbar, wird aber nur zu besonderen Anlässen geöffnet, denn komfortabel ist der Aufstieg aufgrund des erhaltenen originalen Wassertanks nicht. Über eine steile, schmale Leitertreppe gelangt man am Wassertank vorbei zum äußeren Umgang des Turms. Aber: Wer es bis nach ganz oben geschafft hat, wird belohnt. Von dieser höchsten Stelle des Chemnitzer Stadtgebiets ergibt sich bei guten Witterungsverhältnissen eine weite Sicht bis ins Erzgebirge.

Bauherr

Hansa Real Estate AG

Bauort

Chemnitz-Sonnenberg

Projekt

denkmalgerechte Umnutzung
Sanierung und Modernisierung

Typologie

Bauen im Bestand
Denkmalschutz

Nutzung

Mehrfamilienhaus
(Eigentumswohnungen)

Entwurf

Heiko Kauerauf
Mitarbeit: Jacqueline Landgraf,
Arne Weißenborn,
Erik Schluckner

Leistungen

Entwurfs- und Genehmigungsplanung
Ausführungsplanung
Brandschutzkonzept

Bearbeitungszeitrum

Planung 2017-2021
Bauausführung 2020-2022

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